„Ich würde gern durch die Zeit reisen können“ RP vom 10.05.2022

Die 44-jährige FDP-Landtagskandidatin Franca Cerutti ist Psychologin und psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) mit einer eigenen Praxis in Rheinberg-Orsoy. RP-Foto: Fischer Foto: Armin Fischer (arfi)

Die FDP-Landtagskandidatin und Psychologin aus Rheinberg-Orsoy spricht im RP-Interview über Freiheit, Freundschaft und darüber, warum sie mit Wladimir Putin einen Kaffee trinken würde.

Seit rund zehn Jahren lebt Franca Cerutti in Orsoy, seit etwas mehr als zwei Jahren gehört sie der FDP an. Nun kandidiert die Psychologin und dreifache Mutter für die Liberalen bei der Landtagswahl am Sonntag, 15. Mai. Im Interview stellt sich die halbe Finnin vor.

Welches Ereignis hat Sie politisch geprägt?

Franca Cerutti Die Wende beziehungsweise dass es ein unterdrückendes System wie die DDR gab. Mein Vater hat die DDR noch vor dem Bau der Mauer verlassen. Mein Mann wagte unter Lebensgefahr die Flucht. Die Bedeutung von Freiheit – auch in der Bildung – hat mich stark geprägt.

Welche Rolle spielen Ihre Eltern dabei?

Cerutti Väterlicherseits hat meine Familie erst unter den Nazis, dann unter der DDR gelitten. Aber auch meine Mutter, eine gebürtige Finnin, hat mich sehr beeinflusst. Sie war ihrer Zeit gefühlt 50 Jahre voraus. Eine sehr moderne, emanzipierte Frau.

Von welchem Tier könnte der Mensch etwas lernen? Und was?

Cerutti Was die Selbstsorgsamkeit angeht, können Menschen viel von ihren Haustieren lernen. Wenn eine Katze ein schönes Plätzchen auf der Fensterbank findet, macht sie es sich dort ohne schlechtes Gewissen gemütlich. Sie schert sich nicht darum, ob es irgendwo noch etwas Besseres geben könnte.

Können Sie jemanden lieben, der aus Ihrer Sicht die falsche Partei wählt?

Cerutti So lange die demokratischen Grundwerte vertreten werden, ja. Falsche Parteien sind meiner Ansicht nach undemokratische Parteien.

Haben Sie wegen Politik schon mal einen Freund verloren?

Urlaubstage in Finnland: Vor dem großen Findling im Hintergrund sitzt Franca Cerutti am liebsten mit ihrem Großvater im Sonnenschein. Foto: Franca Cerutti

Cerutti Wahre Freunde nicht. Aber es gab ein paar Kontakte, die nach unerwarteten Anfeindungen gegen mich eingeschlafen sind.

Halten Sie sich für einen guten Freund?

Cerutti Ich bin eine Freundin, die wenig Zeit hat. Aber meine Freunde akzeptieren das zum Glück.

Mit welchem Ihrer Mitbewerber würden Sie am ehesten eine Radtour mit Picknick machen?

Cerutti Mit Niels Awater. Er ist ein inspirierender, junger Mann.

Was treibt Sie an?

Cerutti Abgesehen von hohen Dosen Kaffee (lacht)? Es war schon immer mein Wunsch, das Leben für meine Mitmenschen etwas besser zu machen. Deshalb war ich in der Jugend schon Schülersprecherin. Deshalb bin ich heute Psychologin.

Welche Politikerin, welcher Politiker taugt für Sie zum Vorbild?

Cerutti Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag). Nicht nur, weil sie der FDP angehört, sondern weil sie gradlinig ist und Tacheles spricht. Aber ich finde auch Michelle Obama inspirierend.

Welches Buch muss man bis 30 gelesen haben?

Cerutti „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm.

Welcher Song begleitet Sie gerade durch den Wahlkampf?

Cerutti Oh, ich habe eine ganze Playlist. Die ist sehr swing-lastig und fröhlich.

Wenn Sie könnten, welches Problem würden Sie ein für alle Mal lösen und aus der Welt schaffen?

Cerutti Ich würde sofort alle CO2-neutral schalten und den Klimawandel stoppen.

Was läuft schief in diesem Land?

Cerutti Es ist beschämend, dass der Bildungsgrad der Kinder noch immer stark von dem Bildungsgrad der Eltern abhängt.

Was läuft besser als sein Ruf?

Cerutti Ich finde die Schulpolitik unter Schwarz-Gelb besser als ihr Ruf. Wir haben schulpolitische Fehler der rot-grünen Vorgängerregierung korrigiert: zum Beispiel die Förderschulen gerettet oder sind zu G9 zurückgekehrt.

Wofür würden Sie auf die Straße gehen?

Cerutti Würde ich nicht nur, mache ich auch: gegen rechte, undemokratische, radikale Gesinnung.

Werden Sie eher über- oder unterschätzt? Was ist Ihnen lieber?

Cerutti Ich denke, es passiert beides. Aber ich finde beides nicht schlimm. Wenn man überschätzt wird, heißt das, jemand traut einem was zu. Das ist eine Chance, da reinzuwachsen. Wird man unterschätzt, kann man den Eindruck nach und nach korrigieren.

Wann haben Sie zuletzt falschgelegen?

Cerutti Ich habe lange Zeit das Wort Accessoire falsch ausgesprochen. Meine Söhne haben mich belehrt.

Mit welchem Prominenten würden Sie gerne einen Kaffee trinken gehen – und was würden Sie ihr oder ihm erzählen wollen?

Cerutti Wenn ich schon Gelegenheit habe, einen Promi zu treffen, dann will ich lieber zuhören. Der Comedian Torsten Sträter wäre spannend. Er hat ja auch eine ernsthafte Seite, spricht zum Beispiel offen über seine Depression. Als Psychologin würde ich mir aber auch gerne live einen Eindruck von Putin verschaffen und erfahren, was bei dem Mann eigentlich los ist.

Käseplatte oder Dessert?

Cerutti Dessert.

Schnaps oder Bier?

Cerutti Oh, weder noch. Wenn ich Alkohol trinke, dann Weißweinschorle.

Flugzeug oder Zug?

Cerutti Zug.

Schwarz oder Rot?

Cerutti Ebenfalls weder noch. Gelb! Na gut, Schwarz-Gelb. Ich bin ja Imkerin.

Wohin wollen Politiker eigentlich „die Bürger“ immer mitnehmen? Und warum?

Cerutti Ich würde die Bürger gerne nach Skandinavien mitnehmen. Naja, nicht ganz. Aber tatsächlich können wir viel von den nordischen Ländern lernen, was Bildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch den grundlegenden Optimismus angeht.

Welche Superkraft hätten Sie gern? Und warum?

Cerutti Ich würde total gerne durch die Zeit reisen können, um wichtige Ereignisse mitzuerleben. Auch, um zu ergründen, wie es dazu gekommen ist. Und natürlich würde ich dann herausfinden, wer Kennedy getötet hat (lacht).

Warum ist Bahnfahren nicht unkompliziert und gratis?

Cerutti Kompliziert finde ich Bahnfahren gar nicht. Und gratis gibt es nichts. Wenn’s so angepriesen wird, dann hat nur jemand anderes dafür bezahlt.

Könnten Sie vollständig auf Flugreisen verzichten?

Cerutti Nein, aber ich hoffe, dass Flugreisen in Zukunft mit neuen Technologien nicht so umweltschädlich sein werden.

Wofür werden wir uns bei unseren Enkeln rechtfertigen müssen? Und: Finden Sie das fair?

Cerutti Das ist eine interessante Frage. Muss man sich für etwas rechtfertigen, wovon man gar nichts wusste? Meine Großeltern mussten sich bei mir nicht entschuldigen. Uns sind heute dagegen bestimmte Prozesse der Umweltbelastung bekannt. Aber wir sind zu bequem oder zu langsam dabei, sie zu ändern.

Vermissen Sie Angela Merkel?

Cerutti Nein. Ich bin erstaunlich zufrieden mit der aktuellen Bundesregierung. Das hätte ich vorher nicht gedacht.

Wann haben Sie das letzte Mal geweint?

Cerutti Ich weine häufiger, aber auch vor Freude. Ich bin da eher emotional veranlagt. Zuletzt kamen mir die Tränen, als ich an einem Wahlkampfstand mit zwei Frauen aus der Ukraine über deren Flucht gesprochen habe.

Was ist Ihre schönste Kindheitserinnerung?

Cerutti Mein Opa hat in Finnland ein Holzhäuschen, vor dem ein großer Findling steht. Bei Sonnenschein saßen wir dort gerne und aßen Fleischwurst.

Welche Partei würden Sie wählen, wenn es Ihre nicht gäbe?

Cerutti Ich habe kürzlich von der „Partei der Humanisten“ erfahren, die streng wissenschaftlich und nicht ideologisch orientiert ist.

Wie viele Tage sind es noch bis zur Landtagswahl?

Cerutti Heute ist der 5., oder? Noch zehn Tage. (Das Gespräch fand am 5. Mai statt.)

Was machen Sie am 15. Mai um
18 Uhr?

Cerutti Dann bin ich mit dem Rheinberger Ortsverband unterwegs. Wir werden essen gehen und die Ergebnisse verfolgen.

Der nächste Ministerpräsident bittet Sie in die Landesregierung. Welches Ressort würden Sie am liebsten übernehmen – und warum genau dieses?

Cerutti Das Schulministerium. Als Psychologin sehe ich die Kindheit als wichtigste Station an, die das Leben bahnt. Das will ich positiv beeinflussen.

Von Beate Wyglenda

 

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